Biografie

1951 geboren in Ravensburg
1968 – 72 Fachlehrerstudium
1989 – 95 Studium der Malerei und
Druckgrafik an der Freien Kunstakademie Nürtingen

Lehrauftrag bis 2010 am Pädagogischen Fachseminar in Kirchheim/Teck
Mitglied beim Bund Bildender Künstlerinnen Württembergs e.V.
Mitglied bei ahbke „artgerechte Haltung Bildende Künstler Esslingen“
Mitglied Kunstverein Kirchheim/Teck

aus „wegelagerer“ (1)
…Rosemarie Beißer nennt die farbigen Blätter, die im Atelier auf eine neue Weißgrundierung warten „Wegelagerer“ – sie liegen am Weg und warten, bis der richtige Zeitpunkt für ihren Überfall auf die Künstlerin gekommen ist. So wie die Blätter sammeln sich auch die Formen und Figuren, die auf’s Blatt gebracht werden wollen, im Atelier der Künstlerin. Auch sie sind Wegelagerer. Wenn Rosemarie Beißer die Kohle auf der weißen Grundierung ansetzt und eine Linie zieht, kann es sein, dass der Strich – von der Untergrundstruktur abgelenkt – eine andere Richtung nimmt als zunächst intendiert. Im kreativen Prozess lässt die Künstlerin der Kohle ihren Willen und entdeckt bei der Arbeit, was sich hier auf’s Blatt drängt. Zuweilen erschließen sich dem Betrachter die Formen auf den ersten Blick: Ein Paar Schuhe steht in der Ecke, zwei Boxhandschuhe füllen ein Blatt aus. Bei den meisten Blättern möchte der Blick jedoch zuerst spazieren gehen, die Linien erkunden, sie zu Formen und zu Figuren werden lassen und so entsteht während des Betrachtens eine Geschichte, die das Bild mir erzählt: Und ich sehe plötzlich ein „Nachtgespenst am Tag“, das sich zum Ausruhen mit den Ärmeln an einer Garderobe aufgehängt hat oder ein Mädchen mit haarigen Beinen, das Körper und Gesicht hinter einer Zeitung versteckt. Vielleicht ist es aber auch ein Mann der den Kopf zur Abkühlung in eine Wassertonne steckt. …Rosemarie Beißer spielt mit der Linie. Sie interessiert sich dafür, „was sich mit einer Linie darstellen lässt“. Das klingt wie ein Forschungsprojekt, das klingt aber auch wie eine Spiel- Regel, die sich die Künstlerin setzt. Beim Finden ihrer Formen greift sie auf Skizzen zurück, assoziiert, reduziert, verwandelt Gefundenes und Erinnertes in die Linie, die die Form beschreibt. Dabei ist ihr nicht wichtig, dass der Betrachter ihrem Weg folgt und herausfindet, wovon sie sich hat anregen lassen, sondern sie lässt dem Betrachter jegliche Freiheit, die Formen und Motive zu interpretieren. Und das macht das Betrachten und Assoziieren zu einem großen Vergnügen.
stöberzwiege
…Das Kunstmachen bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Beißer beginnt ihr künstlerisches Tun als Antwort auf gefundenes Material. Das sind Dinge mit Strukturen, Dinge mit Spuren eines Vorlebens. Gefunden beim Durchstöbern ihrer „Asservatenkammer“…… Wenn die Künstlerin etwas ansieht, das zurückschaut, sie fast anspringt, wie Beißer sagt, und sie zum Tun verführt, erblickt sie immer ein Stück ihres Selbst. Zwischen dem Ding, dem Springding und der Künstlerin beginnt ein Rendezvous…. Dieser energetische Austausch zwischen Künstler und einem leblosen Gegenstand ist beunruhigend. In einer fließenden Wechselbeziehung zwischen Innen und Außen werden Hierarchien missachtet. Hierarchien auch zwischen Ding und Künstler. Vielleicht liegt hier ein Grund für das anarchistische Potential, die aller Kunst innewohnt. „Zwiege H 18“, ein Körpertorso in männlicher Attitüde und in einem scheinbaren Kampf oder Dialog mit einem Wesen in der „Schaubox“. Die „Schaubox“ mit einem gepunkteten Flauschstoff im kindlichen Marienkäferdesign erinnert an gewisse Etablissements. Die Arbeit atmet Verruchtes. Obwohl sie das nicht ist. Rosemarie Beißer spielt mit Material, schafft Zusammenhänge und zerstört gewohnte Zusammenhänge. Ihr „Braukleid“, aus dem Leder eines Turngerätes mit den Spuren, den Schweißspuren der Sportler, dieses Leder von der Künstlerin malträtiert mit Lötkolben und Messer, hängt im Raum, erinnert an ein weibliches Gewand. In die mit dem Messer verletzte Lederhaut steckt die Künstlerin Mostkappen, lässt ein rotgepunktetes freundliches Muster entstehen. Ein warmes Strahlen, rot – braun. Im Tun, im verletzenden Formenspiel beim Löcherschneiden, beim Löcherbrennen und den dabei entstehenden Gerüchen steigen Gedanken hoch, die betroffen machen.
aus „wunderlichschön“ (4)
In Beißers Zyklus „Vom Sofa dieser Tage oder wunderlichschön“ ist die Malhaut schrundig. Dicke Farbschichten heben sich krustig ab. Es sind die Abdrücke von Ölstiften. Unter diesen Krusten wirken die vorherigen Schichten, bringen das Bild zum Vibrieren. Auch hier arbeitet Rosemarie Beißer prozesshaft. Der Malprozess endet, wenn die Form für die Künstlerin klar und eindeutig ist. Wir sehen auf den Bildern genaue klare Formen von kindlicher Farbenfreude und sind beglückt und beruhigt. Denn nichts beruhigt mehr als das Bekannte. Ich sehe die Beine eines Kindes zwischen den Beinen der Mutter. Genauer schauend wird das Kind zur Mutter, oder wird die Mutter zum Kind? Oder nichts von dem? In einem anderen Bild sehe ich ein großes Kreuz auf einer Tasche und mir kommt die Werbung in den Sinn: „Wer hat’s erfunden? Die Schweizer.“ Noch lächelnd sehe ich mich auf dem Irrweg. Denn mit den Farben stimmt etwas nicht, denn die Tasche ist blau. Ich schaue auf kindliche Ringelstrumpfbeine unter einem Dirndl. Aber es fehlen die Füße. Sind es keine Beine? Meine Freude über das anfängliche Erkennen der klaren Formen weicht einem leisen Unbehagen ob der Paradoxie der eindeutigen Formen und der unklaren Bedeutung. Die äußere Malhaut, sie verbirgt das Innere und gibt es nicht preis. An dieser Stelle kommt wieder der Körper, mein Körper ins Spiel. Ich erinnere dicke weiße kratzige Wollstrumpfhosen, in meiner Kindheit im Winter getragen. Und mit juckenden Beinen frage ich mich, welche Verbrechen befinden sich unter der letzten Malschicht?